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Buchrezension

„How Yoga can wrack your Body" - titelte die NYTimes 2012 und inspirierte mich schon einmal zum Bloggen.

Es war die Zusammenfassung eines Kapitels aus dem ebenfalls 2012 erschienen Buch „The Science of Yoga" von William J. Broad. Der Autor ist Pulitzerpreisträger und er praktiziert selbst Yoga.

Auf Deutsch erschien sein Buch unter dem Titel "Yoga: Was es verspricht - und was es kann".

Ich habe es gelesen und möchte es Euch vorstellen.

Darum geht's

Verbreitung und Popularität von Yoga brachten etliche Erscheinungsbilder und Abwandlungen des Jahrtausende alten Konzeptes mit sich.

 

Broad konzentriert sich im ersten Teil seines Buches auf den Wandel, den Yoga im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext und im Laufe seiner Tradition durchlief, bis hin zu modernen Ausrichtungen und Verfremdungen.

 

Geschichtlich widmet er sich Mythen, wie beispielsweise einigen Gurus, die sich (angeblich) lebendig in Höhlen begraben und nach einigen Tagen putzmunter wieder ausgraben liessen, um zu beweisen, dass sie ihren Atem kontrollieren können.

 

Seit einigen Jahrzehnten wird Yoga zunehmend wissenschaftlich erforscht. Positive Wirkungen können nachgewiesen, und falsche Versprechungen entlarvt werden.

Auf diese Aspekte geht Broad im zweiten Teil seines Buches ausführlich ein.

Wissenschaftliche Studien

Broad stellt etliche Studien zur Wirkung von Yoga vor. Er erläutert deren Rahmen, ihren Aufbau und die Ergebnisse.

Hier will ich nur einige davon nennen.

 

Antioxidantien sollen sogenannte "freie Radikale" neutralisieren und somit zu einem verminderten Krankheits­risiko führen. Sie nehmen normalerweise z.B. bei Dauerstress ab. Mit regelmässigem Yoga können sie hingegen nachweislich erhöht werden.

 

Aus der psychologischen Forschung berichtet er, dass es uns mit regelmäßigem Yoga leichter gelingt, Höhen und Tiefen unseres Gefühlslebens auszugleichen. Yoga wirkt lindernd bei Depressionen und wird - begleitend - mehr und mehr in Therapien eingebunden.

Diese regulierende Wirkung ist übrigens eine zentrale Beobachtung vieler Menschen, die regelmässig Yoga üben.

 

Laut Broads Beispielen konnte ausserdem gezeigt werden, dass Yoga kein ausgesprochenes Ausdauer Training und nicht speziell zum Abnehmen (im Sinne einer Erhöhung unseres Stoffwechsels) geeignet sei.

Ich habe mich dabei gefragt, wie Yoga je dieses Image bekommen konnte. Ich vermute, es hängt mit modernen Interpretationen und einer speziellen Zielgruppe zusammen.

Dennoch wirkt sich Yoga positiv auf die Gesundheit von Herz und Kreislauf aus, wie Broad anhand entsprechender Studien - Stand 2012 - unterlegt. 

 

Untersuchungen der Uni Regensburg kamen übrigens 2014 zu einem weiteren Ergebnis, u.a. was unser Herz-Kreislaufsystem betrifft:

Professor Dr. Loew, Abteilung Psychosomatik am Uniklinikum Regensburg: "Yoga zu praktizieren kommt trotz der Bewegungslosigkeit der Übungen einem mittleren Ausdauertraining gleich, vergleichbar mit Walken oder Joggen.".

Yogatherapie kritisch hinterfragt

Yogatherapie klingt heils- und vielversprechend und auch Broad geht in einem Kapitel ausführlich darauf ein, was ich wichtig und richtig  finde.

In den USA, von wo er berichtet, sind solche Ausbildungen wohl nicht geschützt. Der Begriff wird dort entsprechend exzessiv verwendet. Das ist verbunden ist mit klingenden Kassen und zahlreichen Wirkungsassoziationen.

 

Diese Beobachtung hat sich wohl seit Broads Buchveröffentlichung nicht wesentlich verändert und geht meiner Meinung nach heute so weit, dass beispielsweise Prominente (ohne Yoga Ausbildung) sogar Therapie Bücher veröffentlichen.

 

In Deutschland gibt es zwar Qualitätsinitiativen, jedoch meines Wissens derzeit keine Ausbildungsstandards für Yoga - Therapie.

Nebenbei gibt es übrigens einen steuerlichen Aspekt:

sobald Yoga als Therapie angeboten wird, ist der Unterricht in DE nicht mehr umsatzsteuerpflichtig. 

Das Kapitel, das mir besonders am Herzen liegt

Wie sein NYTimes Artikel, wurde auch sein Buch in der Yogawelt diskutiert. Broad weist im Kapitel, das auch seinem Zeitungsartikel zu Grunde liegt, besonders auf die Verletzungsrisiken durch Yoga hin.

 

Seine Beobachtungen macht er hauptsächlich in den USA. Dort scheint die Yogaszene seinen Beschreibungen nach vorrangig von einer Fitness- und Schönheitsindustrie angetrieben zu sein..

 

Broad nennt letztendlich drei Gründe für Yoga - Verletzungsrisiken. 

  1. schlechte Yogalehrer - Ausbildungen (teilweise weniger als 200 Stunden, in drei Wochen. (Zum Vergleich: meine Ausbildung, dauerte über 3 Jahre mit über 600 Stunden. Fortlaufende Fortbildungen nicht eingerechnet.)
  2. sportlich, akrobatisch überambitionierte Yogastile
  3. die Art der Ausführung mancher Yogahaltungen selbst. Diesen Aspekt betrachte ich detailliert in dieser Analyse.

Was mir gefällt und was mir fehlt

Broad ist Medizin - Journalist. Er recherchiert und erklärt ausführlich die von ihm erwähnten Studien.

Höchstens ob der Fülle des Materials könnte der eine oder anderen eine gewisse Unübersichtlichkeit feststellen.

Eher nebenbei macht er uns Lesern auch gut deutlich, welche Rahmenbedingung, vor allem finanzieller Art, es braucht, um überhaupt eine aussagekräftige wissenschaftliche Studie ins Leben rufen zu können.

 

Richtig und wichtig finde ich, dass Broad neben dem großen Nutzen von Yoga, von dem er als Praktizierender selbst überzeugt ist, ausführlich auf dessen Verletzungsrisiken hinweist. 

Er sieht die Ausbildungsqualität von Yogalehrern dabei durchaus mit als Ursache. Ingesamt versteift er aber seine Ursachenforschung zu oft auf Yoga selbst oder auf bestimmte Yogahaltungen (Asanas), wie z.B. den Schulterstand. 

Hier wünschte ich mir eine differenziertere Analyse.

 

Ich würde mir eine Untersuchung zur folgenden Fragestellung wünschen: 

Ab welcher Übungserfahrung der Teilnehmer*innen, zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Vorraussetzungen, nach welchen Vorübungen, unter Einsatz welcher Hilfsmittel und mit welchem anatomischen Wissen wird der Schulterstand von Lehrern unterrichtet? Unter Berücksichtigung ihrer Ausbildungshintergründe.

Yoga ist nur dann gesund, wenn wir damit Gesundes erzeugen und das ist keinesfalls garantiert, sondern hängt meines Erachtens vorrangig von einer guten Ausbildung der Lehrperson ab.

 

Broad benennt etliche Beispiele dafür, dass es mehr als einen langjährigen Indienaufenthalt braucht, um erwachsene Europäer gut zu unterrichten. Dem möchte ich uneingeschränkt zustimmen.

Indienreisen garantieren und ersetzen keine didaktisch, anatomisch und pädagogisch hochwertige Yogalehrer - Ausbildung.

Das hat nicht nur, aber auch, mit kulturellen Aspekten sowie Teilnehmer - Vorraussetzungen zu tun.

Leider verpasst es Broad, genau diesem Aspekt in Bezug auf seine Analyse von Verletzungsrisiken tiefer nachzugehen. Ich halte ihn jedoch für ausgesprochen relevant.

Sein Blickwinkel

Wenn der langjährige Yogi Broad im Buch Yogalehrer/innen oder Institutionen vorstellt, erwähnt er zunächst Äusserlichkeiten wie die Kategorie des Stadtteils, in dem sich ein Studio befindet, Kleidung, Aussehen, Status sowie Beziehungen und die Berühmtheit der beteiligten Personen.

Erst dann kommt er zum eigentlichen Yogaaspekt.

Dieser spezielle Blickwinkel mag seine Aussagen plakativ unterstreichen, beispielsweise wenn er vom Millionär Bikhram spricht. Bikhram wurde mit Hot - Yoga, das Broad zu recht als verletzungsriskant einordnet, superreich. Ansonsten lenkt diese Art der Beschreibung allerdings die Aufmerksamkeit auf eine spezielle Einordnung von Menschen nach Äußerlichkeiten und nach gesellschaftlichem Status. Das mag Broad's Beruf oder seinem kulturellen Hintergrund geschuldet sein, es widerspricht jedoch der Yoga Idee.

Broad suggeriert damit zudem, der gesellschaftliche Status einer Lehrperson oder eines Schülers sollte etwas über die Qualität des dazugehörigen Unterrichts aussagen. Das ist aus meiner Sicht ein Irrtum. Ich denke beispielsweise an Hollywood - Schauspielerinnen, die Yoga Bücher schreiben, ohne je eine Ausbildung genoßen zu haben.

Da Broad viel von Verletzungen seiner berühmten Protagonisten (oder ihren Schülern) berichtet, widerlegt er seine Annahme zwar permanent,  einen eventuellen Zusammenhang der beiden Phänomene sieht er jedoch nicht.

Ausblick - Yogaforschung

Broads Buch ist aus 2012.

Mehr und mehr beschäftigen sich heute vor allem die Neurowissenschaften mit Yoga. Sie gewinnen spannende Erkenntnisse.

 

Das Yogaforum München, an dem ich ausgebildet wurde, forscht u.a. zu Auswirkungen von Yoga auf unsere Herzratenvariabilität (HRV) und auf neurowissenschaftliche Aspekte.

Dr. med. Leena Phadke ist Associate Professor am SKN Medical College & General Hospital in Puna, Indien und arbeitet eng mit dem Yogaforum zusammen. Dr. Phadkes Forschungen konnten zeigen, dass verschiedene Yogaübungen uns regulieren, indem sie unser sympathisches Nervensystem senkend und dabei den Parasympathikus (er ist zuständig für Entspannung) steigern können.

 

Diese Ergebnisse sind eine wichtige Erklärung für die spezifische Beobachtung, dass Yoga uns entspannen kann, obwohl unser Körper dabei aktiv ist.

Ein Forschungs - Überblick:

 

Was die Yoga Ausbildungsqualität angeht, gibt es auch in Deutschland noch viel zu tun. 

Ausbildungen zum/r Yogalehrer/in sind auch hier sowohl von ihren Inhalten als auch von ihrer Dauer äusserst unterschiedlich und nicht geschützt.

 

Yoga Übende und Yoga Interessierte sind gut beraten sind, sich über die Aus- und Weiterbildungen ihrer Lehrer genau zu informieren

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